Es gibt Strickdesigns, die möchte man wirklich, wirklich gerne stricken und dennoch schiebt man das Annadeln lange vor sich her. So erging es mir mit dem berühmten Boxy von Joji Locatelli, einem sehr locker und kastenförmig geschnittenem Pulli mit engeren Ärmeln, einem Rillendetail auf den Schultern und in meinem Fall einem V-Ausschnitt.
Dieses Design, so schlicht der Pullover auch daher kommt, ist einst so beliebt geworden, dass Joji mehrere Versionen dazu entworfen hat: das Original mit Rundausschnitt, eine Variante für dickeres Garn, eine mit Knopfdetail und den einen mit V-Ausschnitt – für jeden ist etwas dabei. Gestrickt wird dieses tolle Teil – mit Ausnahme einer Variante – aus dünnerem Garn in Sockenstärke beziehungsweise Fingering, weshalb ich mich für die Malabrigo Sock entschieden habe.
Okay – Anleitung ist da, das grüne Päckchen ebenfalls. Das Problem: Weit geschnittene Oberteile haben die Angewohnheit, mit sehr vielen Maschen pro Runde aufzukreuzen, gerade wenn sie aus schlankerem Garn gestrickt sind. Und schon kommen die ersten Bedenken, welche in Aufschieberitis enden: Das Garn ist bestellt, aber werde ich genug Ausdauer haben? Lange Nadelseile? Dicke Hornhaut auf den Fingern? Wird mir das Ding auf Dauer zu langweilig und als UFO in der Ecke landen, unstet wie ich bin? Habe ich genug trainiert, für den glatt-rechten Stockinette-Marathon, der mich ereilen wird – unsportlich wie ich bin?
Fragen über Fragen, aber das Wetter ist derzeit so nett, die Malabrigo Sock so herrlich bunt und weich, der Boxy so verlockend schön und meine Zuversicht so groß, deshalb habe ich mich getraut, den Startblock zu verlassen und gen Ziellinie zu schreiten. Und euch möchte ich mitnehmen auf meiner Reise des Stockinette-Marathons. Ich habe mich nämlich mit einigen Strategien bewaffnet, ja-haa! Vorbereitung ist alles!
Strategie 1: Etappen setzen
Nicht nur beim Lernen für das Studium, bei der Hausarbeit oder beim Pizzaessen hilft es, sich den anstehenden Aufgabenberg in mundgerechte Stückchen aufzuteilen. Das Prinzip lässt sich wunderbar auf unseren Marathon rechter Maschen übertragen. Alles was ihr dazu braucht, sind kleine Anhänger, Sicherheitsnadeln oder Maschenmarkierer, welche sich öffnen lassen. Nun überlegt ihr euch eine Reihenzahl, welche übersichtlich zu stricken ist, und hängt dann alle soundsoviel Reihen oder Zentimeter einen Markierer ins Strickstück. Das motiviert ungemein, die nächste Etappe zu schaffen, wie bei einem Streifenpulli, bei dem man nur noch „eben“ den nächsten Streifen erreichen möchte. Natürlich könnte man statt der Markierer den Pulli auch tatsächlich mehrfarbig in Streifen stricken!
Strategie 2: Konditionierung
Man muss kein abgeschlossenes Psychologiestudium im Projektbeutel haben, um zu wissen, dass Belohnungen einen Motivationsschub herbeizaubern können. Praktischerweise schleichen sich in die grünen Pakete gerne ein paar Motivationsbärchen, welche sich hervorragend für diese Strategie eignen. Selbes Prinzip wie oben: Nach einer bestimmten Strecke winkt ein Gummibärchen, eine Möhre, ein Eis, ein kühles Getränk, ein heißes Getränk – je nach Belieben. Dieses Vorgehen lässt sich bestens mit der ersten Strategie kombinieren!
Strategie 3: Farbe bekennen
Okay, diese Strategie hier sollte von Anfang an bedacht werden: Wählt eine Garnfarbe, die euch wirklich viel Freude bringt! Ich habe mich schon vor langer Zeit in die Farbe Water Green von Malabrigo Hals über Kopf verliebt und ich kann mich nicht satt sehen an diesem hübschen, zarten, perfekten Minzeton. Das ist die beste Voraussetzung dafür, dass ich mich immer wieder gerne an das Projekt setze.
Übrigens: Malabrigo hat gerade ganz neue und neue alte Farben auf der Sock herausgebracht, die noch unterwegs zu uns sind. Frank Ochre ist mit seinem Senf-Ocker ohnehin ein all time favourite von mir, aber auch die neue Indonesia gefällt mir überaus grandios, wie ein grüner Dschungel sieht der Strang aus! Wer lieber neutrale Farben mag, der wird sich freuen: mit Polar Morn, Flavia, Cirrus Gray und Sand Bank gibt es grau bis beige in allen Facetten. Fucsia strahlt grellpink; die kühlen Farbliebhaber unter euch könnten mit Cian, Teal Feather, Matisse Blue, Kris oder Fortaleza glücklich werden. Wenn ich da nicht direkt einen Neuen anstricken … ahh, schnell weitermachen!
Strategie 4: Die Abwechslung macht’s
Zeitgleich zum Boxy stricken wir ein zweites Projekt an. Ja, richtig gelesen, ich stifte euch an, fremdzugehen. Aber dabei ist es ganz wichtig, ein Projekt auszuwählen, welches viel Aufmerksamkeit benötigt – etwas mit Lace oder Zöpfen wäre toll. Oder mehrfarbige Muster, wie die schönen Designs von Kate Davies, welche Antje letztens vorgestellt hat. Nun gilt folgende Regel:
*15 Minuten easy-peasy Stockinette-Marathon, danach 15 Minuten volle Konzentration für Projekt zwei*, wiederhole von * bis *, bis die Projekte fertig sind
Ergebnis: Konzentrationsfähigkeit und Entspannungs- bis Langeweilegrad optimal ausgenutzt.
Strategie 5: Ausgleich schaffen
Manchmal sind endlose rechte Maschen genau der richtige Ausgleich zum stressigen Alltag. Einfach abschalten, stricken. Mehr nicht. Das kann wirklich sehr entspannen und ist Meditation und Schaffen in einem. Wenn aber gerade alles rund läuft, man kein zweites, schwieriges Projekt anfangen will, aber der Geist nach Beschäftigung verlangt, dann lässt sich das genügsame Marathon-Stricken auch mit einer Nebenbeschäftigung kombinieren.
Dazu sind geeignet: Fernsehen; Fußmalerei; Strickpodcasts schauen; Lernvideos gucken; Stricktreffen und nebenbei Quatschen mit Gleichgesinnten; Lernen im Gehen zu Stricken, um nebenbei spazieren zu gehen, Hörbücher hören und so weiter. Was fällt euch noch so ein?
Bonus-Strategie
Wenn alle Stricke reißen und die Ausdauer partout nicht ausreicht: Improvisieren und in meinem Fall bauchfrei tragen, ist eh gerade warm draußen!
Ähhh nee, besser nicht! Aber mit den ganzen Strategien ist mir ohnehin noch lange nicht die Puste ausgegangen und ich bin noch voll motiviert! Deshalb stricke ich nun gemütlich weiter an meinem V-Neck-Boxy.
Anleitung: V-Neck-Boxy von Joji Locatelli
Garn: vier Stränge Malabrigo Sock, Fb. 083, Water Green für Größe M
Nadelstärke: 3,5 mm
Reisen im Auto, in Bus, Bahn und Flugzeug sind prädestiniert für entspanntes Stricken – da ist ein Glatt-Rechts-Marathon direkt erholsam. Um einen herum tobt das Leben – und man selbst entspannt beim Stricken – Verspätungen ärgern nur noch halb so viel, Staus nerven nicht mehr.
Die Taktik mit den Markierern benutze ich auch für irgendwann nervende, weil doch langweilige Lacemuster. Ihr kennt das vielleicht auch: der Anfang ist interessant, dann folgt eine endlose Reihe von 4 bis 6 Reihen Musterwiederholungen, bis man endlich am ersehnten Randmuster angekommen ist.
LG Doris
Ohh ja, Stricken auf Reisen ist ohnehin immer eine gute Idee 🙂
Oh danke Genau das brauch ich jetzt. Ich hab mir den No Frills Cardi von PetiteKnit auf die Nadeln geholt. Und es wird ein laaaaaaanges Projekt
Schööön! Ich wünsche dir viel Spaß mit dem Projekt 🙂
Hi Nora,
den Tipp, dass man sich bewusst ein anspruchsvolles Projekt gleichzeitig auf die Nadeln holt, finde ich super. Bei endlos langen rechts-Runden telefoniere ich auch gerne über Headset (manchmal hat eine Fernbeziehung auch Vorteile 😉 ) Dann ist die Aufmerksamkeit beim Gesprächspartner und nebenbei wächst das Projekt.. Gestern habe ich nebenbei einen halb fertigen Cardigan geribbelt. Auch das ist mit Ablenkung einfacher…
Liebe Grüße Susanne
Headset beim Telefonieren, das ist mal eine Idee. Mir tut immer irgendwann der Nacken weh vom Hörer einklemmen 😉
Oh wie toll! Aber das der von oben nach unten gestrickt wird, finde ich interessant… Hast Du die Anleitung abgewandelt? Ich stricke nämlich den Boxy mit Rundhals in Worsted stärke und der wird von unten nach oben gestrickt…
Vielen Dank für die Tipps, denn auch in Worsted ist es eine echte Geduldprobe…
Nee geändert habe ich da nichts, der V-neck wird ganz regulär von oben gestrickt (zum Glück) 🙂
Ich stricke auch gerade einen Boxy und mein Problem beim endlosen Reihen abstricken ist meine Phantasie – der Rand soll mal so – mal anders werden. Seitenschlitze? mhm….vielleicht,. Rollrand? Ärmel komplett im RL Muster oder doch lieber mit iCord….im Geiste stricke ich den Boxy also in mindestens 4, ach was sage ich! in 10 Varianten – auch eine Methode um an´s Ende zu kommen.
Der Tipp mit dem 2. Projekt gefällt mir besonders gut – eigentlich so gut, dass ich jetzt fast schon stolz auf meine noch 4 nebenbei laufenden Projekte schaue – 🙂 ( Wer sagte hier was von UFO´s ?) Wie immer: ein toller Blogbeitrag – vielen Dank und….. DURCHHALTEN! Es lohnt sich!
Haha so geht es mir auch oft, in Gedanken habe ich schon Pullover für ein ganzes Land gestrickt. So fleißig das Köpfchen, da kommen meine Finger nicht hinterher 😀
Dir auch viel Erfolg beim Durchhalten, wir schaffen das!
Ich stricke auch meist ein einfaches Modell und eines mit Muster gleichzeitig. Aber dieses langweilig glatt rechte Teil wächst immer am schnellsten – beim Fernsehen oder Podcast schauen (natürlich auch deinen) oder wenn noch mehr Leute dabei sind und man sich unterhält. Ich mag so einfache Teile, sowohl beim Stricken als auch nachher beim Tragen, am liebsten.
LG
Ingrid
Oh eine Zuschauerin, ich glaube ich werde mich niemals daran gewöhnen dass man mich erkennen könnte, da werde ich innerlich ganz rot 😀
Im Moment wachsen meine Stockinetteprojekte auch sehr regelmäßig (ich missachte ja meine eigene Regel und stricke statt einem komplizierten Musterteil ein zweites/drittes… Stockinetteprojekt an. Pfui 😉
Bekommt man die Anleitung auch in Deutsch?
Der Link zur ravelry-Anleitung ist oben hinterlegt.
Nein, die Anleitung gibt es nur auf Englisch. Wäre aber vielleicht eine Gelegengeit, sich dem English-Beginners-KAL in der ravelry-Lanade-Gruppe anzuschließen.
Die liebe Kerstin hat dir ja schon geantwortet, leider gibt es keine deutsche Anleitung dazu. Der erste Teil könnte etwas fummelig sein, aber in der Lanade-Ravelry-Gruppe wird dir da sicherlich geholfen 🙂
Ich stricke die langen Runden Stockinette am liebsten. Wenn die Passe erst mal fertig ist, geht es rasend schnell.
Ärmel fertig stricken und was sonst noch so ist, sind bei mir eher das Problem. Aber mit geknüpftem Maschenmarkierer je nach Rundenanzahl für die Abnahmen komme ich meist schnell ans Ziel.
Ich stricke nebenbei immer Socken. Da gibt es auch lange Abschnitte glatt rechts zu bewältigen 🙂
Das ist ja interessant, bei mir wächst das erste Drittel am schnellsten und wenn die Anfangsfreude verflogen ist muss ich mich oft anstrengen, dass ich dem Projekt nicht fremdgehe 🙂
Da sind super Tipps dabei.
Ich hab irgendwann angefangen, mir eine Markierung zu setze. Wenn ich angefangen habe, um zu sehen, wie weit ich gekommen bin. Auch das hilft ungemein und verdeutlicht, was man trotz nicht Ende. Wollender Reihen alles schon geschafft habe.
Ja das hilft mir auch ungemein, sonst ist es ja schon manchmal schwierig einen Fortschritt zu erkennen 🙂
ich lege die Etiketten der verbrauchten Knäuel wieder in die Tüte mit dem Pullivorrat und freue mich, wenn die Tüte leer wird und die Etiketten zahlreicher
Auch eine gute Idee! Mir machen da meine Katzen einen Strich durch die Rechnung und klauen mir die Etiketten 😀
Hörbücher helfen auch. Teilweise strickt man dann nur, um eine Ausrede zum Weiterhören zu haben. Und schon ist das riesige Tuch oder alle Socken zum Verschenken fertig.
Ohja, Hörbücher liebe ich auch. Am liebsten eine ganze Serie von mehreren, zusammenhängenden Büchern 🙂
Meine Strategie für meinen ersten Pullover, der im Grunde eigentlich auch nur glatt rechts in Runden gestrickt wird: Ich habe mir ein Muster eingebaut. Einen kleinen Zopf, der vorne und hinten in der Mitte herunterläuft und sich alle 10 Runden wiederholt. Dieser Zopf kommt auf auf die Ärmel, so dass ich dann keine Runden zählen oder messen muss, sondern einfach die Zopfwiederholungen zählen kann. 🙂
Der Pullover muss jetzt allerdings eine Weile warten, weil der Gartenblick MKAL meine ganze Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. – Was dann ja auch zu Strategie 4 passt. 😉