Verkürzte Reihen Director’s Cut

Wer billig kauft, kauft zweimal, und wer Technikbeiträge nur über das halbe verfügbare Spektrum schreibt, der muss noch zweimal nachsetzen. So ist das! Ich fasse heute mal meine bisherigen Erklärungen zu verkürzten Reihen zusammen, ergänze um weitere Wichtigkeiten, die vorher dem Rotstift zum Opfer gefallen sind, und präsentiere die Special Extended Edition, den Director’s Cut, die ungekürzte Fassung zu gekonnt verkürzten Reihen!

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Verkürzte Reihen sind eine Technik zur nahtlosen Formgebung , die wir brauchen, wenn wir geradeaus Gestricktes an unsere weniger geradlinigen Körperpartien anpassen wollen. Also zum Beispiel Schultern und Brust, Nacken oder – ganz prominent – Fersen.

Im Wesentlichen funktioniert es so: Man strickt in Reihen oder Runden geradeaus bis man an eine Stelle kommt, an der man über eine gewisse Anzahl der aktiven Maschen mehr Material benötigt. Zum Beispiel wenn der Ausschnitt beim rund gestrickten Pulli hinten höher sein soll als vorne. Oder wenn die kraus rechts gestrickte Blende gegenüber dem glatt rechts gestrickten Hauptteil ein wenig aufholen muss. Oder wenn man seiner üppigen Oberweite mehr Platz im Pullover schaffen will. Oder, oder, oder.

Verkürzt formuliert (haha) strickt man dort, wo man mehr Material braucht, einfach mehr Reihen als im Rest der Reihe oder Runde. Wenn man genug zusätzliches Material erschaffen hat, kehrt man mit Unschuldsmiene zur gesamten Reihe oder Runde zurück und strickt weiter geradeaus.

Man kann die verkürzten Reihen entweder länger oder kürzer werden lassen und oft kommt die Frage auf, was denn besser sei. Um ehrlich zu sein: mit einer guten Wendetechnik macht es kaum einen Unterschied. Ich lasse sie immer kürzer werden, wenn ich sie unmittelbar vor einem Bündchen platziere und länger, wenn sie direkt nach Bündchen oder auch Aufnahmekanten, Streifen und anderen optisch auffälligen Elementen kommen. So liegen alle Wendestellen auf einer Linie parallel zur ohnehin sichtbaren „Kante“ und fügen sich noch einen Tick besser ins Gesamtbild ein.

Es gibt allerdings einen Haken an der Sache: die Wendestellen erweisen sich, wenn man sie nicht gezielt ruhigstellt, als wunderbare, oft aber ungewollte Zierelemente, die man bestenfalls noch als Knopflöcher zum Anknöpfen von, äh, weiteren ungewollten Zierelementen verkaufen kann. Sprich: das gibt Löcher im Gestrick!

Man kann sie umarmen und ins Design aufnehmen (siehe weitere Techniken). Will man sie vermeiden, muss man spezielle Wendemaschen verwenden. Die sind sozusagen das Herzstück der verkürzten Reihen. Ich persönlich verwende am liebsten Doppelmaschen, es gibt aber noch eine Reihe weiterer Wendemaschen, auf die ich hier und jetzt eingehe. Kamera läuft – und Action!

Wickelmaschen

Wickelmaschen sind meinem Gefühl nach die am häufigsten in Anleitungen vorkommenden Wendemaschen und erzielen okaye Ergebnisse in glatt-rechtem Gestrick. Sie nutzen die erste nicht mehr gestrickte Masche hinter der Wendestelle gewissermaßen als Griff und umschlingen sie, so wie man sich im Stehen strickend im Bus mit dem Ellbogen um eine Haltestange herum fixieren würde:

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  1. Bis zur Wendestelle stricken, Faden hinter die Arbeit legen (falls er da nicht schon ist).
  2. Jetzt kommt die Haltestange: Wendemasche (also hier Wickelmasche) wie zum Linksstricken abheben und Faden nach vorne holen.
  3. Die nun umwickelte Wendemasche zurück auf die linke Nadel heben.
  4. Arbeit wenden und in die entgegengesetzte Richtung weiterstricken.

Wenn man das nächste Mal bei der Wickelmasche vorbeikommt, strickt man (sofern vom Designer nicht anders verordnet) die Umwicklung zusammen mit der Wickelmasche ab.

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  1. Bis zur Wendestelle stricken.
  2. Mit der rechten Nadel von unten durch die Umwicklung (als würdet ihr euch unterhaken) und wie gewohnt durch die Wendemasche stechen …
  3. … und beide rechts zusammenstricken. Dabei darauf achten, dass die Umwicklung hinter der Wendemasche zum Liegen kommt.
  4. Fertig!

Wickelmaschen strickt man auf der linken Seite genauso wie auf der hier gezeigten rechten Seite. Achtet nur darauf, dass der Faden da liegt, wo er laut Beschreibung liegen soll, damit ihr euch nicht den Ellenbogen brecht, indem ihr Umwicklung über Kreuz legt. Autsch.

Japanische Wendetechnik

Diese Technik funktioniert so ähnlich wie Wickelmaschen, mit dem Unterschied, dass hier eine provisorische Haltestange in Form eines Maschenmarkers installiert und später, zugunsten eines platzsparenden Lückenschlusses mit der folgenden Masche, wieder entfernt wird.

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  1. Bis zur Wendestelle stricken und wenden.
  2. Arbeitsfaden mit einem Maschenmarkierer zum Öffnen und Schließen versehen und …
  3. … in Gegenrichtung weiterstricken.

Hier ist ja erstmal noch gar nichts weiter passiert, außer dass man einen Fuß in die Tür gesetzt hat. Die eigentliche Arbeit erfolgt erst, wenn man das nächste Mal an der Wendestelle vorbeikommt.

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  1. Bis zur Wendestelle stricken und markiertes Garnstück ausfindig machen.
  2. Markiertes Garnstück – ohne es zu verdrehen – auf die linke Nadel heben.
  3. Das markierte Garnstück so mit der  folgenden Masche zusammenstricken, dass es sich dahinter versteckt. Hier ist das ein simples zwei rechts zusammen oder englisch k2tog – auf der Rückseite würdet ihr durchs hintere Maschenbein (englisch tbl) arbeiten.
  4. Fertig!

Von vorn sieht das Ganze wirklich sehr sauber aus und liegt auch glatter als bei Wickelmaschen. Die recht sichtbare lange Schlaufe auf der Rückseite und das Gefummel mit den Markierern führen aber dazu, dass ich persönlich die Technik recht stiefmütterlich im Hinterkopf einstauben lasse.

Doppelmaschen

Mit Doppelmaschen bekommt man saubere und fast unsichtbare verkürzte Reihen. Die Technik kommt ohne Hilfsmittel aus und ist so simpel und gut ersichtlich, dass sie zu meinen absoluten Favoriten gehört:

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  1. Hier wird die Wickelmasche noch mit abgestrickt! Erst danach wenden.
  2. Faden nach vorn holen (falls er da nicht schon ist). Die schon gestrickte Wendemasche auf die rechte Nadel heben.
  3. Den Faden über die Masche hinweg straff nach hinten ziehen – die Masche wird dabei zur Doppelmasche.
  4. In Gegenrichtung (gewendet hatten wir ja schon) weiterstricken.

Wenn die Doppelmasche abgestrickt werden soll, muss man nichts weiter tun als darauf zu achten, die beiden „Beinchen“ der Doppelmasche nicht einzeln, sondern zusammen abzustricken.

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Auch die Doppelmaschen arbeitet man auf der linken Seite genauso wie auf der hier gezeigten rechten Seite. Im Unterschied zur Wickelmaschen-Wende wird die Wendemasche hier auch erstmal abgestrickt – das solltet ihr berücksichtigen, wenn ihr eine Anleitung mit Wickelmaschen modifizieren wollt.

Vorsicht mit Streichgarnen wie BC Bio Shetland, Semilla Melange und Sandnes Tove: die sind nicht allzu zugstabil, hier also unbedingt mit Bedacht anziehen, sonst ist euer Projekt spontan fertig. Eine Einschränkung gibt es: Wenn jede verkürzte Reihe nur eine Masche länger sein soll als die vorherige (zum Beispiel bei Armkugeln), dann erzeugen Doppelmaschen leider ein unruhiges Gesamtbild. Da empfehlen sich dann zum Beispiel die …

Shadow Wraps

… Schattenmaschen, uuuh! Hierbei verwendet man wieder einen Festmacher, dieses Mal aber nicht die nachfolgende aktive Masche, sondern den Maschenkopf darunter. Es funktioniert mit linken und rechten Maschen recht ähnlich. Ich zeige euch zuerst das Wenden an einer rechten Masche:

Klicke hier wenn du unser Video ansehen möchtest.

  1. Bis zur Wendemasche stricken, Faden hinter die Arbeit legen (falls er da nicht schon ist).
  2. Das rechte Maschenbein der Masche unter der Wendemasche auf die linke Nadel heben und …
  3. … (nur) dieses rechts abstricken.
  4. Die neue Masche zur Wendemasche auf die linke Nadel heben.
  5. Arbeit wenden und in die entgegengesetzte Richtung weiterstricken.

Die Wendemasche hat jetzt sozusagen einen Schatten – daher auch der Name –, der aus derselben „Muttermasche“ hervorgeht. Wenn ihr das nächste Mal an diese Stelle kommt, strickt ihr die beiden „Töchter“ ganz unspektakulär rechts zusammen.

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Und links? Fast analog, nur mit dem winzigen Unterschied, dass man den Schatten auf die andere Seite der Wendemasche legt. Schaut mal hier:

Klicke hier wenn du unser Video ansehen möchtest.

  1. Bis zur Wendemasche stricken, Faden vor die Arbeit legen (falls er da nicht schon ist), Wendemasche auf die rechte Nadel heben ohne sie abzustricken.
  2. Den Kopf der Masche unterhalb der Wendemasche auf die linke Nadel heben und …
  3. … diesen links abstricken.
  4. Wendemasche und Schattenmasche zusammen auf die linke Nadel heben.
  5. Arbeit wenden und in die entgegengesetzte Richtung weiterstricken.

Auch hier müsst ihr, wenn ihr das nächste Mal an die Wendemasche kommt, nichts weiter tun, als die beschattete Masche links zusammenzustricken.

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Ich weiß, das klingt irgendwie viel zu einfach, aber ich schwöre, das ist schon alles. Kein Ziehen, kein Markieren, kein Wickeln, nur ein geschickt platzierter Schatten, den man in der nächsten Reihe unauffällig verschwinden lässt. Wie schon erwähnt, könnt ihr danach auch gleich die nächste Masche als nächste Wendestelle wie beschrieben bearbeiten, ohne dass das zu Unregelmäßigkeiten, Löchern, Knubbeln oder Sonstigem führt.

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Seht ihr die verkürzten Reihen? Ich auch nicht, ist einfach zu unsichtbar 😀 Diese Wendemaschen-Technik ist unanständig simpel, quasi unsichtbar und auch für den Spezialfall „Wenden bei jeder Masche“, die meine ansonsten bevorzugte Doppelmasche leider nicht so gut bewältigt, absolut tauglich. Das ovipare Schafkuhschwein sozusagen. Probiert es unbedingt aus 🙂

Weitere Techniken

Man kann natürlich auch den umgekehrten Weg gehen und richtig schön auf seine Fähigkeit, verkürzte Reihen zu stricken, hinweisen, indem man sie extra betont. Ratet mal, wer das regelmäßig tut … genau! „West’sche Löcher“ entstehen, wenn man ohne Wendemasche wendet und nachher extra noch einen Umschlag über die Wendestelle legt. More is more! Besonders deutlich sieht man das beim Outer Space, es gibt aber richtig viele West-Designs, die mit dieser (Nicht-)Technik arbeiten.

Wenn ihr verkürzte Reihen in Kraus-rechts-Gestrick unterbringen wollt, habt ihr es übrigens recht leicht. So leicht, dass ich das gar nicht extra bebildern muss, denke ich. Ihr könnt hier, analog zur japanischen Technik, wenden ohne nachzudenken und sogar ohne einen Markierer anzubringen. Wenn ihr das nächste Mal an die Wendestelle kommt, sucht ihr euch einfach eins der Schläufchen unterhalb der frisch abgestrickten Masche vor der Wendestelle aus, hebt es auf die linke Nadel und strickt es wie oben beschrieben entweder rechtsgeneigt (Vorderseite) oder linksgeneigt (Rückseite) mit der nächsten Masche zusammen. Wenn ihr das lieber noch mal live sehen wollt, schaut es euch bei Mr. Strick auf Youtube an. Er nennt das shortcut rows und verwendet das ebenfalls recht regelmäßig in seinen Designs.

So, nun hab ich aber alles gesagt … behaupte ich 😉 Wenn ihr Fragen habt oder noch eine Fortsetzung („Naaain!“) hören möchtet: nur zu, schreibt’s in die Kommentare!

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Kommentare

  1. Von Catharina am 16. September 2021:

    Toll, toll, toll.
    Lieben Dank für diese super guten und kurzweiligen Erklärungen.

    • Von Antje am 17. September 2021:

      Sehr, sehr gern! 🙂 Viel Freude beim Ausprobieren!

  2. Von Steffi am 16. September 2021:

    Da ich meistens nur englische Anleitungen stricke, kenne ich leider auch nur die dort verwendeten Begriffe.
    Entsprechen die Doppelmaschen German Short Rows oder kann man das nicht so einfach gleichsetzen? 🙂

    • Von Antje am 17. September 2021:

      Oh, das kenn ich gut. Ich muss mir tatsächlich auch Mühe geben deutsch zu sprechen in diesen Technikartikeln 😉 Mit Doppelmaschen strickt man „German short rows“, ja! 🙂

    • Von Steffi am 17. September 2021:

      Super, vielen Dank für die Antwort! 🙂

  3. Von Stefanie am 17. September 2021:

    Vielen Dank für den tollen Artikel. Endlich hat sich die Frage geklärt, wann die Reihen länger oder kürzer werden!
    Am liebsten arbeite ich die shadow wraps, die werden bei mir am unsichtbarsten.

  4. Von Nic am 17. September 2021:

    Hi Antje,
    frogginette hat die german short rows für Runden sogar noch perfektioniert. Kann mich aber grad nicht mehr erinnern, wie das genau war. Ich wittere also Teil 4.
    Die Shadow Technik kannte ich noch gar nicht, Danke!
    Liebe Grüße!

    • Von Nic am 17. September 2021:

      ach und ist das die Highland von der Lazy Lion?

  5. Von Antje am 20. September 2021:

    Hallo Nic!
    Reihen für Runden? Interessant! Ich informiere mich mal.
    Die Farbe ist 01, Indian Summer auf – ganz genau – Lazy Lion 🙂

  6. Von Nanu am 21. September 2021:

    Die “Shadow Wraps” sind übersichtlich dargestellt (wenn auch nicht so benannt) in der Sockenanleitung “Dehnungsfuge” von Nicolor. Die nehme ich immer als Gedächtnisstütze dafür… sowas hab ich einfach gern auf Papier zum Nebenhinlegen.
    Und in kraus-rechts geht es sogar noch einfacher: Wickelmaschen stricken und beim Drüberstricken den “Wickel” um die Wendemasche einfach liegen lassen – also nicht abstricken. Fällt in kraus-rechts überhaupt nicht auf – oder vielmehr: sieht meiner Meinung nach am sogar besten aus.

  7. Von Cinzia am 21. Februar 2024:

    Ich glaube, die Wickelmaschen kommen hier schlechter weg als sie es verdient hätten.

    Nach allen anderen Anleitungen, die ich kenne, werden sie in den Rückreihen andersherum gearbeitet: Masche mit dem Arbeitsfaden vorn abheben, nach hinten führen und Masche zurück auf die linke Nadel. Und beim Abstricken dann den Wickel von hinten nach vorn auf die Nadel nehmen statt von vorn nach hinten.

    Damit erhalte ich super Ergebnisse. Der Fadenlauf scheint mir identisch zu Shadow Wraps, aber sie sind fester und dadurch unauffälliger.

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